Seen – Steine – Sperren Unterwegs in der befestigten Südosthälfte Finnlands
Text und Bilder: Sascha Kuhnert-Teil 1-
Man stelle sich folgendes Szenario vor: Mai in Finnland, der Schnee seit kurzem verschwunden. Überraschend ergibt sich eine freie Woche, das Wetter sprengt die kühnsten Vorstellungen, von den Voraussagen für die freie Woche ganz zu schweigen. In der Schublade liegt eine komplett vorbereitete Tour mit genauen Anlaufzielen und ein Blick auf das Konto gibt grünes Licht für dieses Vorhaben. Auf was also warten? Ganz besonders, wenn man sich bereits aus Gründen des neuen Wohnsitzes direkt im Land der tausend Seen befindet und es sich lediglich um eine Autofahrt von einigen Stunden handelt, um die so lange vor sich her geschobene Tour in die befestigte Südosthälfte Finnlands wahr werden zu lassen. Noch dazu, wenn man sich bis eben in einem Sprach- und Integrationskurs befand und nun einiges umso einfacher und vor allem verständlicher von statten geht. Was bietet sich also besseres an, als das neu erlernte Sprachwissen gleich praxisnahe im Alleingang anzuwenden.
Ständige Begleiter, steinerne Panzersperren und Seen. Am See Herajärvi bei Suo – Annttila läuft eine solche Sperre sogar bis in den See hinein.
Auf dem Weg zum Supermarkt, um die nötige Verpflegung für ein Zeit in der finnischen Waldwildniss zu besorgen, geht der Festungsforscher, nun bereits von Freiheits- und Betongedanken beflügelt all die Orte und Ziele durch von denen er bisher nur in Büchern gelesen hat. Die Realität ist es immer wieder, welche uns auf den Boden der Tatsachen holt. So auch den schon in Gedanken verreisten Festungsforscher. Der muss relativ schnell feststellen, dass sein Auto gerade jetzt Öl verliert, sehr viel Öl. Mit jedem genauern Blick auf den Motor, rückt dann auch der Ausflugstraum immer weiter ins Unerreichbare. Das war’s – Werkstatt, min. eine Woche, ach ja, es ist ja übermorgen Feiertag, dann geht ehe alles etwas länger. Der Festungsforscher flucht in Finnisch, denn das kann er bereits sehr gut und ertappt sich selbst schon beim Gedanken, solche Krisensituationen unter Ausnutzung der überflüssigen Zeit, frei nach landestypischer Art zu lösen – im nächsten „Baari“. Doch gibt es natürlich, wie in jeder hübschen Geschichte einen Retter in der Not, im hiesigen Fall sogar zwei. Die bessere finnische Hälfte und deren Bruder. Ihnen ist diese etwas andere Einleitung zum Dank gewidmet. Denn ohne deren Hilfe wäre die geplante Tour nicht zu Stande gekommen und eben auch nicht dieser Bericht. Kurzer Rede, langer Sinn, nach einem Telefonat erhielt der geknickte Festungsforscher einen Transitbus inklusive Matratzenlager im Laderaum und anderen Annehmlichkeiten. Nach einem dankenden „Kiitos!!“ und dem nötigen Umladen, war der gerettete Festungsausflügler dann endlich und sprichwörtlich „on the road again!“.
Mittwoch 1.Tag – Im rückwärtigen Bereich der Salpalinie
Nach etwa vier Stunden Autofahrt, aufgrund des bevorstehenden Feiertages auf völlig leeren Straßen – der Finne an sich befindet sich bereits im eigenen Wochenendhäuschen, dem „Mökki“ am See und wärmt die Sauna auf neckische 80 Grad an, erreicht der Reisende das erste Anlaufziel. Der rückwärtige Bereich der Salpalinie, der finnischen Grenzbefestigung welche direkt nach dem Finnisch/Russischen Winterkrieg größtenteils 1940 – 41 entlang der neuen Ostgrenze gebaut wurde. Im hiesigen Fall befinden wir uns nahe der Stadt Lappeenranta und dem größten See Finnlands, dem 4370 km² großen Saimaasee. Die russische Grenze liegt etwa 40 Km weiter östlich entfernt. Der Rückwärtige Bereich der Salpalinie besteht hier zunehmend aus schweren Artilleriestellungen zum Beschuss der Grenzregion und stützpunktartigen Straßensperren an den Hauptverbindungsstrassen. Diese erinnern durch ihre Ausbauart und Stärke stellenweise an so manches kleinere Widerstandsnest des Atlantikwalls. Wenn auch der Einsatz von verbunkerten Pak- Geschützen in weitaus geringerer Anzahl anzutreffen ist.
Der erste Besichtigungspunkt an diesem Tag war die schwere Mörserbatterie bei Juvola, für vier 28 cm Küstenmörser Modell 1877. In dieser Batterie kamen diese alten Geschütze, welche noch aus der Zeit der russischen Zugehörigkeit Finnlands stammten, in jeweils vier einzelnen Kesselbettungen zum Einsatz. In der Bettung integriert befinden sich seitliche Räume für Munition, Mannschaften und Führungspersonal. Erfreulicherweise hat man hier von Seiten der Gemeinde ein Hinweisschild zur Lokalität sowie eine Informationstafel zur Batterie selbst angebracht. Leider allerdings lediglich in finnischer Sprache, immerhin wird zumindest die erste Bettung von Bewuchs frei gehalten und kann jederzeit besichtigt werden.
Beeindruckt von den tiefen Kesselbettungen der Batterie, ging danach die Fahrt weiter zu einer der erwähnten Straßensperren der Salpalinie. Nur wenige Kilometer von der Mörserbatterie entfernt, liegt die befestigte Landenge bei Rutola. Sie ist durch die Besonderheit ihrer Bauwerke und deren Lokalität eine der interessantesten Stellungen der gesamten Salpalinie. Angelegt auf einer Landenge zwischen zwei sehr großen Seen, verteidigt es diese mögliche Übergangsstelle, welche im Normalfall den Durchgang der Bundesstrasse Nr. 8 gewährleistet. Sie ist eine der wichtigsten Nord – Südverbindungen des Landes, welche von Lappeenranta über Mikkeli, dem ehemaligen Hauptquartier des Oberbefehlshabers Feldmarschall Mannerheim führt. Diese wichtige Engstelle, welche schwer durch die großen Seen umgangen werden konnte, wurde dementsprechend stark befestigt. Die Panzersicherheit sollte vornehmlich durch die in der Salpalinie typischen, steinernen Panzersperren gewährleistet werden. Sie finden sich hier in 4er Reihen entlang des Seeufers und immer wieder kreuzend zur Strasse, sowie auch zu allen Feldwegen.
Steinerne Panzersperre bei Rutola
Steinerne Panzersperre bei Rutola
Flur im Eingangsbereich der Höhle R139
Panzertüre und Abstieg ins Innere der Anlage
Verbindungsgang zum Unterkunftsbereich von R 139
Unfertiger Unterkunftsbereich von R139
Notausstiegsschacht zur Oberfläche
Panzertüre im Zugangsbereich des Gefechtsstand Nr. 900
Teile des Gefechtsstandes Nr. 900
Von innen, Kampfraum für MG mit verdecktem Beobachtungsschlitz des Gefechtsstandes 900, sowie das ganze von außen.
Das Zentrum dieser Sperrstellung bildet ein massiver Granithügel, welcher sich beinahe mittig der Landenge und direkt hinter der Panzersperre befindet. Auf dem Hügel selbst, ist ein weitläufiges Laufgrabensystem mit offenen Stellungen für MG und vermutlich auch Pak- Geschützen angelegt. Von diesem erhöhten Grabensystem gibt es drei einzelne Abgänge, welche tief in das ausgehöhlte Innere des Hügels führen. Denn dieser wurde selbst zur Unterbringung der auf der Oberfläche eingesetzten Truppen als Höhle R139 ausgebaut, wobei es nicht mehr zu einer vollständigen Fertigstellung der Räumlichkeiten kam.
Fertig gestellt wurde allerdings ein dem Unterkunftsbereich angegliederter Gefechtsstand Nr. 900 für 20 Mann, welcher des Weiteren über einen eigenen Kampfstand für ein schweres MG verfügt. Dieser zielt auf die auslaufende Bucht des rechten Sees, während etwa 100 m neben der Höhle R139 die Bucht des linken Sees durch einen einzeln aufgestellten MG Bunker Nr. 86 gesichert wird. Diese externe Anlage schützt ihren Verteidigungsbereich wieder im Verbund mit steinernen Panzerhindernissen und ist an das oberirdische Laufgrabensystem angeschlossen. Anlage Nr. 86, welche ebenfalls für die Unterbringung von 20 Mann eingerichtet ist, besticht schon allein durch seinen, dem Felsgelände angepassten Bauwerksaufzug, welcher durch eine zusätzliche Verschalung aus Felsgestein erreicht wurde. Die Überraschung aber zeigt sich über dem Bauwerkseingang, in Form des im Beton eingelassenen, regionalen Wappens Kareliens und der Jahresangabe der Bauzeit. Leider stand dieses, ebenfalls recht tief angelegte Bauwerk mehr als Hüfthoch unter Wasser und der Berichterstatter sollte es noch weitere male bereuen, keine bessere Ausrüstung mitgebracht zu haben. Aus den Augen, aus dem Sinn – eine Woche Sonnenschein ließen die kürzliche Schneeschmelze schnell vergessen. Dem im Verteidigungsbereich von Anlage Nr. 86 verlaufenden Panzerhindernis folgend, wurde dann noch versucht, Hinweisen entsprechend eine weitere MG Bunkeranlage mit Unterkunft für 20 Mann zu finden. Es kam dem Suchenden allerdings alles andere als zu gute, dass er dem taktischen Denken, beziehungsweise dem Hindernis folgte. Denn schließlich landete er, aus dem Dickicht kommend, mitten auf einer privaten Schiessbahn, neben dem Ferienhaus des neuen Bunkernutzers. Bereits auf dem Absatz kehrt machend, vernahm dann der flüchtende Bunkertourist Schüsse, allerdings von weiter weg und aus anderer Richtung. Viel Später stellte sich heraus, dass die Bunkeranlage von einer Reservisten- und Offiziersvereinigung der Finnischen Armee genutzt wird, welche im Nebengelände gleich mehrere Schießstände angelegt hat und aktiv nutzt. Viel zu spät fielen dann dem Flüchtenden wieder die warnenden Worte der besseren finnischen Hälfte ein, man nähere sich Ferienhäusern ausschließlich nur auf dem „normalen“ Wege. Das finnische Denken setzt in manchen Gegenden immer noch voraus, das Alles was sich aus dem Dickicht seltsam nähert, nur nieder Beweggründe im Sinne haben kann. Da dies auch jeder wisse, seien auch im „Normalfall“ keine Absperrungen mitten im Wald nötig – so viel zum Thema Kulturschock.
MG Bunker Nr. 86
Wappenrelief Kareliens über dem Zugang zu NR. 86
Der Bunkertourist zog es vor, im Schutze eines Eingangs von Höhle R139 sein Nachtlager aufzuschlagen, um somit der lange ungenutzten Schutzanlage endlich wieder die originale Funktion zu verleihen. Während tief aus dem Wald heraus schallend, diese Nacht noch recht lange die Landesverteidigung gewährleistet wurde, genoss man vor dem Höhleneingang die ersten Grillwaren und den Blick auf das befestigte Seeufer.