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Am Wall

Am Wall 75 - Im Wald da sind Raketen Ein Bericht über Flugabwehr-Raketen-Stellungen nördlich von Berlin

Im Wald da sind Raketen
Ein Bericht über Flugabwehr-Raketen-Stellungen nördlich von Berlin

Text und Bilder: Oliver Zauzig


Ehemalige DDR-Bürger werden sich noch des Witzes erinnern, in dem es um die Größe der Wälder ihres Landes geht. Letztendlich hatte die DDR weltweit die größten Wälder - so die Hinleitung zur Pointe - da die Sowjets da schon vierzig Jahre hocken und bis dato nicht mehr herausgefunden haben. Lauscht man einigen Stammtischen, so standen überall Raketen herum, auch im noch so kleinen Forst. Natürlich wissen einige zu berichten, wie sie nachts mobile „SS-20 Startfahrzeuge“ - wenn schon, denn schon (!) - im Wald verschwanden sahen. Aber so ganz von der Hand zu weisen, sind solche Gerüchte nicht. Überall wo heimliches Agieren nötig scheint, brodelt die Gerüchteküche. Das ist heute nicht anders. Was ist aber dran, an den Gerüchten? Sind noch Spuren zu finden?


Brandenburg bietet eine Reihe von Arealen, die heute aufgelassen, bis zum Ende des Kalten Krieges für Zivilisten terra incognita waren. Dazu gehören auch die Flugabwehrraketen-Komplexe der NVA und der sowjetischen Streitkräfte.

Bunkerhalle für die Lagerung der Raketen

Wenn sich beide in unmittelbarer Nachbarschaft befinden, lässt sich bereits von „besonders“ sprechen. Nördlich von Wandlitz, genau: nordwestlich des Ortes Klosterfelde, befinden sich im Wald ehemalige streng geheime Militärkomplexe. Heute sind sie sogar ohne „schlechtes“ Gewissen zu betreten. Kein Zaun, kein Schild, höchstens ein paar Müllberge halten den Besucher vom schnellen Betreten ab.

Dass irgendjemand zufällig hier vorbeikommt, scheint ausgeschlossen. Wie lassen sich die Stellungen finden? Im Netz gibt es dazu eine GoogleEarth-Datei (einfach unter „SAM site(s) overwiew“ als kmz-Datei suchen), die zwar nicht vollständig ist, aber doch die nächste Surface-to-Air-Missiles-Site, wie es im englischsprachigen NATO-Fachjargon heißt, auch in Ihrer Nähe anzeigt.
In diesem Beitrag geht es nicht um die Technik der Luftabwehr der Warschauer Vertragsstaaten. Es geht vielmehr um die Vorstellung von drei Batteriegeländen in ihrer heutigen Erscheinung.

Panoramaansicht des Fahrzeugunterstandes nahe der Bunkerhalle

Qualität versus Zweck: Die Raketenbatterien nördlich von Klosterfelde

Innerhalb eines Areals von circa 400 Hektar Forst gibt es noch heute nachvollziehbar vier Komplexe, die zu zwei früheren Fla-Rak-Stellungen, wie es im NVA-Jargon hieß, gehörten. Interessant sind aber nur wirklich drei davon. Der vierte, von der Batteriestellung am weitesten entfernte, bietet außer ein paar Sandwegen und Zaunresten nicht wirklich lohnendes (Koordinaten: 52°48'50.50"N, 13°25'19.50"E). Hier standen möglicherweise mobile Funkmeßanlagen. Näheres ist nicht bekannt. Die drei anderen Komplexe teilen sich in einen der NVA zuzurechnenden Kasernen- und Waffenlager-Bereich (52°48'34.12"N, 13°26'44.28"E) sowie zwei Batteriestellungen, wobei die Unterscheidung zwischen ehemalig sowjetisch (52°48'48.11"N, 13°27'16.80"E) und ehemalig deutsch (52°48'33.04"N, 13°27'32.19"E), nicht schwer auszumachen sind. Dazu aber unten im Text mehr.

Der Kasernen-, Betriebsmittel- und Waffenlagerplatz umfasst circa 8 bis 10 Hektar eingezäuntes Gelände. Räumlich getrennt, lassen sich von den Unterkunfts- bzw. administrativen Anlagen (auch Garagen und Heizwerk), die Depot bzw. Waffenlager unterscheiden. Zentraler Bestandteil ist eine circa 8 Meter hohe und 200 Quadratmeter umfassende Bunkerhalle, die mit höchster Wahrscheinlichkeit als Lagerort für die Flugabwehrraketen vom sowjetischen Typ S-75 „Зенитный Ракетный Комплекс С-75 Двина/Десна/Волхов“ (Nato-Code SA-2 Guideline) diente. Nach unbestätigten Angaben hatte die Batterie 36 Raketen vor Ort. Innerhalb der Bunkerhalle finden sich Beschriftungen, die darauf hinweisen, dass hier einst mit einer Laufkatze gestapelt und geordnet wurde. Zudem lassen Rußspuren im Eingangsbereich vermuten, dass ein reger Betrieb mit dieselbetriebenen Fahrzeugen stattfand. Die Bunkerhalle hat eine Wandstärke von circa einem Meter und ist komplett übererdet und mit Bäumen bewachsen.

Tankstelle zur Befüllung der Raketen vom Typ S-75


In unmittelbarer Nähe des Bunkers befinden sich eine Tankstelle, ein verbunkerter Personenunterstand sowie ein übererdeter Fahrzeugunterstand. Zahlreiche nur überdachte Fahrzeugunterstellplätze befinden sich auf dem weiteren Areal. Teilweise sind diese bewusst abgebrochen worden, zum großen Teil aber sich selbst überlassen und mittlerweile zusammengebrochen.

zusammengebrochener Fahrzeugunterstand


Die Unterkunftsgebäude und administrativen Bauten sind noch in einem Zustand des annehmbaren, wenn man vom Zerstörwillen Unbekannter absieht, denen es wohl reichte, Scheiben einzuschlagen und wenig ausdrucksstarke Grafitti zu hinterlassen. Trotzdem werden auch diese Gebäude in den nächsten Jahren wetterbedingt und aufgrund der nicht vorhandenen Instandhaltung ihr Dach und damit ihre Zukunft verlieren. Möglicherweise ist das auch Absicht. Andererseits: Was soll mit diesen Anlagen geschehen? Dazu später mehr.

Verlässt der Neugierige den beschriebenen Bereich in Richtung Zugangsstraße, gibt es drei Möglichkeiten der weiteren Erkundung. Einmal ist da die nähere Umgebung außerhalb des abgezäunten Areals. Da finden sich mitunter Betonhütten, Freiflächen, Schächte ins nirgendwo etc. Was auffällt, ist das Fehlen sämtlicher Nahverteidigungseinrichtungen, bis auf einen stacheldrahtbewährten Zahn!

Um zu den Batteriegeländen zu kommen, wird die Straße in Richtung Osten überschritten und abhängig davon, ob zuerst die ehemalige Sowjetbatterie angeschaut werden soll, oder das ehemalige NVA-Gelände, begibt sich man sich entweder etwas nach Norden oder nach Süden. Die Areale sind zwar beide voneinander abgegrenzt, aber an der jeweiligen Nordwest- bzw. Südwestecke befindet sich ein Übergang. Geschäftsführer und Vizepräsident entscheiden sich bei ihrem Besuch im April 2011 zuerst die nördliche Batterie zu besichtigen, da der Vize die südliche schon einige Wochen vorher erkundet hatte.

Nach circa fünfminütigem Spaziergang im leichten Nieselregen gelangen wir zum Eingang der Batterie. Die Mauer steht noch unbekümmert in der Landschaft, das Wachthaus ist ziemlich mitgenommen. Der erste Hinweis, dass wir uns auf dem sowjetischen Batteriegelände befinden, ist der Zustand der Gebäude. Stellenweise in sich zusammengefallen, stellenweise noch getragen, bieten sie einen erbärmlichen Anblick. Wir bewegen uns einmal im Oval und durchschreiten dabei die jeweils sechs vorhandenen Raketenstellungen, die sich zwischen 60 und 80 Meter vom zentralen Feuerleit- und Generatorraum entfernt befinden. Die Stellungen selbst sind etwa 15 Meter im Durchmesser, umgeben von einem zwei bis drei Meter hohen Erdwall, rund zwei Meter im Boden eingelassen und mit Betonplatten ausgekleidet. Der Zustand der einzelnen Stellungen variiert. Stellenweise noch fast erhalten, sind die meisten aber schon ziemlich abgetragen.


Panoramaansicht einer noch gut erhaltenen Stellung innerhalb des sowjetischen Areals

Die endgültige Bestätigung, dass es sich um ein Machwerk sowjetischer Bauart handelt, finden wir im Zentrum der Batterie. Alle Gebäude werden mehr oder weniger durch Bahnschienen (u.a. Krupp 1934) zusammengehalten. Diese tragen die Stützwände, die größtenteils den inneren Kern um das Generatorgebäude und die mögliche Zentrale gegen eventuelle Nahtreffer schützen sollten.

Der gesamte Bau erinnert an ein Provisorium. Hier sollte man den Planern der Roten Armee zugutehalten, dass dies wohl auch Absicht der Stellung war. Denn die benachbarte NVA-Batterie scheint jüngeren Datums, und es ist kaum vorstellbar, dass beide Batterien zeitgleich ihren Dienst taten. Inwieweit im Kasernen- und Depotbereich „sowjetische“ Bauhistorie aufzuspüren ist, kann ich nicht eindeutig sagen. Dafür fehlen mir die Kenntnisse. Nur so viel: Ganz in der Nähe zum ehemaligen Flugplatz Oranienburg, der von sowjetischen Transportfliegern benutzt wurde, befindet sich die dazugehörige Flugabwehr-Raketenstellung (zweiter Teil des Beitrages). Hier lässt sich sowjetische Kasernenbauweise studieren. Aus diesen Erfahrungen leitet sich für mich die Tatsache ab, dass es sich bei dem beschriebenen Kasernen- und Depotbereich um eine rein deutsche Anlage handelt.

Das Generatorenhaus des sowjetischen Kontrollzentrums- die Wände auf der Gegenseite werden durch "Reparationsmaterialien" der Reichsbahn zusammengehalten.

Interessant an der sowjetischen Stellung ist die mögliche „Urbatterie“, deren Reste noch nordwestlich des Raketenovals zu finden sind. Einerseits sind dort Infanteriestellungen aus Betonfertigteilen mit einem Unterstand zu finden, die möglicherweise zu Übungszwecken dienten. Andererseits finden sich Erdwälle, die stark an Stellungen für Flakbatterien aus dem Zweiten Weltkrieg erinnern. Es darf aber auch angenommen werden, dass sich der Autor irrt und das kleine Areal ein reines Übungsgelände war. Tatsache ist, es liegt außerhalb der Mauer, aber innerhalb eines Zaunes mit Stacheldraht und könnte, um noch eine Möglichkeit zu nennen, auch für mobile Funkmess-Systeme vorbereitet worden sein.

Infanteriestellung aus Betonfertigteilen im Nordwesten der sowjetischen Batterie 

Blick auf die "offene" Fahrzeugseite des Feuerleit- und Kontrollzentrums der NVA-Stellung. Deutlich zu sehen sind die Kabelschächte im Boden.

Der große Unterschied zwischen dem deutschen und dem sowjetischen Areal ist die Bauausführung. Der NVA-Komplex besticht durch exakte Bauausführung, geraden Wänden, beständigen Gebäuden und einer klaren Zuordnung der Bauwerke im Gelände. Auf dem Luftbild lässt sich gut erkennen, dass die noch geometrische Form der sowjetischen Batterie, aufgebrochen scheint. Die ebenfalls sechs Raketenstellungen befinden sich nicht in ovaler Anordnung, sondern bilden zwei Linien, die eher aufeinander zulaufen, als parallel zu sein. Auf dem GoogleEarth-Luftbild ist ganz deutlich die betonierte Splitterbox für eine Radaranlage zu erkennen. Gut 15 Meter südlich befindet sich das Kontroll- und Rechenzentrum der Batterie. Sternförmig laufen vom Kontrollzentrum Kabelschächte zu den jeweiligen Stellungen.

Blick auf eine Stellung (etwas rechts von der Bildmitte) mit den im Vordergrund verlaufenden Kabelkanälen

Im Gegensatz zum benachbarten sowjetischen Komplex, der in einer Ebene errichtet wurde, kennzeichnet sich die Topographie der NVA-Batterie durch - für brandenburgische Verhältnisse - gewaltige Höhenunterschiede bis zu 15 Metern aus. Damit wirkt die gesamte Anlage bedeutend unübersichtlicher. Unterstände und Gebäude lassen sich aber auch besser tarnen.

Zudem wirken die nur aus Erdreich errichteten (möglicherweise mit Betonkern!) Raketenstellungen im Durchmesser etwas kleiner als ihre sowjetischen Pendants.

Gang im Inneren des Kontrollkomplexes

Das Innere des Kontrollzentrums weist stellenweise noch elektrische Anlagen sowie Belüftungsleitungen auf.

Metalljäger haben aber Kupferdraht und andere verwertbare Metalle bereits vollständig entfernt. Vor Ort blieben nur die Isolation der Kabel und Ausrüstung aus Blech, die weniger Gewicht oder gar keinen Lohn bringen. Trotzdem ist das gesamte Batteriegelände gut erhalten, wenn man bedenkt, wie lange der Zugang schon offen ist.

Dass die sowjetische Batterie bereits soweit verfallen konnte, liegt wohl weniger an ihrem Alter als vielmehr ihren entfernbaren „Schätzen“. Bahnschienen sind bekanntlich nicht aus billigem Stahl. Mittlerweile sind die Gebäude auf dem nördlichen Batteriegelände mit Zäunen abgesichert und selbst dem hirnlosesten Stahlsucher sollte klar sein, wenn der Schneidbrenner angesetzt wird, sollte auch gleich das Testament unterschrieben werden. Aber in jüngster Zeit wird weniger genommen als vielmehr gebracht.

Das hat nicht unbedingt was Gutes. Denn was ankommt, ist umgangssprachlich als Sperr- oder Sondermüll bekannt. Warum sich jemand die Arbeit macht, seinen Zivilisationsdreck gerade dort zu beseitigen, bleibt mir angesichts der in den meisten Fällen kostenlosen Entsorgungsmöglichkeiten schleierhaft.

Filter sowjetischer Bauart 

Luftbild der drei beschriebenen Komplexe: Links finden sich Depot- und Kasernenanlagen, rechts davon die beiden Batteriegelände, oben das sowjetische, unten das deutsche.

Begegnung mit Lenin:
Besuch des Geländes der ehemaligen Luftabwehr-Batterie des sowjetischen Flugplatzes Oranienburg


Verkehrsnah, d.h. direkt neben der Autobahn, aber trotzdem abgelegen. So präsentiert sich der ehemalige Flugabwehr-Raketenkomplex westlich von Oranienburg. Täglich passieren Tausende Autofahrer die ehemalige sowjetische Stellung ohne überhaupt zu ahnen, was sich hinter dem aufgeschütteten Wall verbirgt. Besser sollte man sagen: was sich dahinter verbarg. Heute wirkt das Areal wie ein Rückzugsraum für Tiere, die mindestens am Tage den umliegenden Äckern fernbleiben. Vor 1994 war das Gelände Sperrgebiet. Zumindest weiß man heute, dass es Teil des sowjetischen Flugplatzes war, der sich gut sechs Kilometer östlich befand.

Den Flugplatz nutzten nach der deutschen Luftwaffe und der Firma Heinkel die sowjetischen Transportflieger, später Hubschrauber. Daran erinnern kaum noch Zeugen. Der gesamte Aerodrom ist umgearbeitet worden. Die Gebäude sind einem Gewerbegebiet gewichen. Noch sind die Bagger beim Abriss. Die gut 2.500 Meter lange Start- und Landepiste lebt in der verlängerten Bundestrasse 96 weiter. Bald wird der Flugplatz ganz der Vergangenheit angehören. Trauern wird wohl niemand. Das Gelände der dazugehörigen Luftabwehrstellung wird aber vorerst bleiben.

Die sowjetischen Flugplätze sind dadurch gekennzeichnet, dass sich in ihrer Nähe, meist 5 bis 7 km entfernt, ein Batteriegelände für Flugabwehrraketen befindet. Bewaffnet waren diese unbestätigten Angaben zu Folge mit dem Waffensystem S-125 „Зенитный Ракетный Комплекс 5В24/5В27/С-125 Нева/Печора“ (Nato-Code SA-3 Goa).

Auch hier soll es um eine Stippvisite gehen, um eine Beschreibung und um die Erkenntnis, dass Luftbilder oft phantasieanregender sind, als das Ergebnis des Lokaltermins. Aber das ist wohl eher ein Problem des Autors.

Nachdem ich auf GoogleEarth alle 28 ständigen Flugplätze der früheren sowjetischen Luftwaffe in der DDR angesteuert hatte, begab ich mich auf die Suche nach den Luftabwehrstellungen. Davon fand ich 24. Irgendwann entwickelt man ein Auge für die Form und Lage der Stellungen. Wie bereits beschrieben, sie liegen alle westlich der Flugplätze. Ihre Form reicht von beinahe Rechtecken zu Trapezen (meistens). Ein weiteres Merkmal: Sie liegen abseits von Bebauungen (wen wundert’s!) und zwischen landwirtschaftlichen Anbauflächen oder im Wald. Ihr Aufbau ist fast immer gleich. Dabei finden sich im Westen vier ovale Stellungen, die im Unterschied zu den S-75-Anlagen wie ein Hufeisen nach hinten offen sind und in einem leichten Viertelkreis angeordnet. Daran anschließend gibt es Fahrzeugunterstände für die mobilen Abschussrampen. Im Osten befinden sich Unterkünfte, Lager und Garagen.

Zurück zum besuchten Objekt. Ich hatte bereits einige ehemalige Flugplätze der sowjetischen Luftwaffe besichtigt, aber noch nie eine Luftabwehrstellung. Meine Erwartungen waren groß, so nutzte ich die letzten schönen Stunden des Oktobers 2010 und begab mich zum Batteriegelände. In meiner Vorstellung wollte ich mindestens Splitterschutzwälle für die Startrampen und verbunkerte Unterstände für die Raketen sehen. Was ich zu sehen bekam, war dagegen ernüchternd. Hier die Beschreibung:

Auf den nördlichen Berliner Ring westlich von Oranienburg nimmt man die Abfahrt Vehlefanz/Schwante. Man kann das Gelände, wenn man von Osten kommt, rechterhand sehen (52°42'36.74"N, 13° 7'27.38"E). Heute befindet sich ein Solarpark neben dem Batteriegelände. Von hier sind es noch circa 250 Meter bis zum Tor, welches einladend offen ist. Kein Schild, kein Verbots- oder Privateigentums-Hinweis, keine abgeladenen Müllsäcke! Erfreulich! Das Gelände ist trapezförmig. Es misst circa 400 m Länge, die Frontseite ist 230 m lang, die „Kehlseite“ circa 280 m, also rund 6 ha Gesamtfläche. Nach dem Passieren des Tores steigt die Spannung. Links nehme ich einen Erdhügel wahr. Ich laufe darauf zu. Im Gelände liegen vereinzelt abgefahrene Flugzeugreifen. Der Hügel entpuppt sich als Fahrzeugunterstand mit mehreren Nebenräumen. „Verbunkert“ ist was anderes.

Fahrzeugunterstellbereich hinter den Stellungen

Die Anlage geht in ihrer Deckenstärke nicht mal als „feldmäßig“ durch. Ein besserer Wetterschutz! Die „Garage“ ist offen, keine Tore. Zwei Seiten sind angeschüttet. Auf der „Garage“ befindet sich eine Art Beobachter. In einem der Räume finde ich die Poster, die auch Lenin zeigen. Nun, zumindest würde man nun wissen, dass hier einst die „Sowjets“ ihr Dasein fristeten. Im Vorgelände, gut vom Beobachter einsehbar, kein Hinweis zu irgendwelchen Erdaufschüttungen.

Und ewig grüßt Lenin – bis heute erhaltene Propaganda in den Räumen des Fahrzeugunterstandes

Ein Weg führt von der Garage in dichten Baumbestand. Ein zweites Indiz für die frühere Anwesenheit der Roten Armee: Überall stehen Birken! Nun stoße ich das erste Mal auf etwas Interessantes: eine circa sechs Meter tiefe Grube, die eindeutig von einer Seite zu befahren ist. Hier hätte etwas längeres Platz gehabt! Dann erreiche ich schon die Kasernenanlagen. Die Gebäude sind L-förmig angeordnet und werden zur Frontseite hinter einem rund 3 Meter hohen Erdwall verdeckt. Davor gibt es noch vereinzelte kleinere Bauten, die eher wie Bushaltestellen in Sibirien aussehen, wohl aber aufgrund ihrer roten Farbe und der „Kleiderleiste“ eher Brandschutz-Utensilien beherbergten. Davon gibt es einige im Gelände. Ich gehe rechts an den Gebäuden vorbei, hier trifft man auch wieder auf den Eingangsweg und einen kleinen Appellplatz. Wenn ich bisher noch nicht gewusst habe, wo ich mich befinde, hier findet sich die Antwort. Der kleine Appellplatz beherbergt ein gemauertes Podium und etwas schräg gegenüber eine Skulptur, die darauf verweist, dass man hier mit Raketen hantierte. Jemand bekam wohl den Auftrag, einen circa 3 m hohen Sockel zu formen, der für die Abgase der Rakete steht. Ein anderer, oder derselbe, musste aus einem Stahlrohr und etwas Blech das Geschoss zaubern. Zumindest ist zu erkennen, worum es sich handelt.

Die Räume der Unterkünfte sind innen wie außen in einem bedauernswerten Zustand. Die Holzdielen sind bereits eingebrochen und einige Wände abgerissen. Das passierte aber nicht erst gestern. Offensichtlich haben die abziehenden Truppen hier selbst noch einmal Hand angelegt und „verbrannte Erde“ geprobt! Im „Kehlbereich“ finden sich noch ein kleiner Fitnessparcour, ein Outdoor-WC (innen rot gestrichen), diverse „Bushaltestellen“ und einige Hundezwinger. Nun war mir auch klar, warum es hier an drei Seiten einen Doppelzaun gibt!

Anschließend laufe ich nach Norden und stoße noch auf richtige Garagen, sogar mit noch vorhandenen Metalltoren. Auch nahm ein Erdwall vom Osten her jede Sichtmöglichkeit auf den Komplex. Die Hallen sind verlassen. Ein paar geistlose Graffitis, etwas Müll - das ist alles! Im Gelände finden sich noch einige Gebäude, die wie Unterkünfte für Offiziere und Vorratslager aussehen. Etwas enttäuscht, verlasse ich nach einer Stunde das Gelände, finde im Frontbereich noch einige kleinere Erdwälle, die tatsächlich ellipsenförmig nach hinten offen sind, aber für große Fla-Raketen-Komplexe ist hier kaum Platz.

Es gibt spektakulärere Militärareale als SAM-Sites im brandenburgischen Sand. Zudem erinnern die Anlagen noch stark an Flakstellungen des Zweiten Weltkrieges.

Luftbild des Fla-Raketen-Komplexes des ehemaligen Flugplatzes Oranienburg


Im Gegensatz zu heutigen Waffenkomplexen brauchten besonders die alten S-75-Fla-Raketen eine notwendige Infrastruktur. Aus heutiger Sicht erscheint eine solche Anlage wie ein Relikt verkrusteter Militärstrategen. Nur sollte in diesem Zusammenhang nicht außer Acht gelassen werden, dass der Kalte Krieg schon seit gut zwanzig Jahren beendet ist. Der moderne (meist mediale!) Krieg ist durch Präzision, HighTech und Mobilität gekennzeichnet. Er lässt alles Vorhergehende antiquiert erscheinen. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass noch 1973 der ägyptische Angriff auf die Israelis in Richtung Sinai genau durch solche Waffensysteme wie der S-75 erst ermöglicht wurde. Denn bekanntlich brach die Offensive außerhalb des schützenden Raketenschirms zusammen. Auch die Amerikaner mussten in Vietnam ihre Erfahrungen mit den „Dwinas“ machen. Die Maßnahmen zur Abwehr wurden immer aufwendiger.
Mobile Fliegerabwehrraketensysteme großer Reichweite kamen erst in den 1970er Jahren auf. Auch im Golfkrieg von 1991 blieben die immobilen SAM-Sites der Iraker eine Bedrohung. Sie gehörten zu den ersten Zielen, zumindest ihre „Augen“ und „Ohren“.

Noch etwas zur Nachnutzung oder Konversion einer ehemaligen Luftabwehr-Raketenbatterie. Die Frage stellt sich schon weiter oben: Was soll mit einem solchen Areal geschehen? Eine Museumslandschaft einrichten? Dieser Vorschlag kann mit dem Hinweis zu tunnelblickartiger Naivität getrost abgelehnt werden. Mal ehrlich, wer soll dafür Zeit oder Geld verschwenden, wenn im nahen Berlin, eine Attraktion an der anderen klebt. Abgesehen davon, selbst „Bunkerinteressierte“ steigen lieber in die unterirdischen Kommandozentralen von Wehrmacht oder Roter Armee (Wünsdorf) bzw. NVA oder Staatssicherheit. Die weitläufige Raketenstellung wirkt da etwas blass.

Wem der Waffenkomplex eine Reise wert ist, der kann eine komplette Startrampe mit S-75 im Luftwaffenmuseum auf dem ehemaligen Flugplatz Gatow bei Berlin besichtigen. Aber Achtung: Auch dieses Gerät hat schon einige Jahre „Friedensdienst“ hinter sich, aber ohne nötige Wartung. Dementsprechend ist der Zustand.

Fazit: Jede Form von Nachnutzung eines solchen Areals würde Geld kosten, aber keines bringen. Die Zuständigkeiten werden zwischen Bund und Land bzw. Kommune wechseln und jeder hofft, die Natur wird die bereits vorhandenen Ruinen verschlingen und die Reste unsichtbar werden lassen. Bloß gut, dass sich das Areal bisher nicht zu einem beliebten Ausflugsziel entwickelt hat (wird wohl auch nicht passieren), sonst müssten Geschäftsführer und Vize demnächst zwischen Würstchenverkäufern und Sonnenanbetern in Liegestühlen ihre Besichtigungen durchführen. Dann doch lieber still und einsam im Einklang mit der Natur. Im Gepäck tragen wir nur das, was für unsere Art der Konservierung (Dokumentation) von Nöten ist.

Die S-75 "Dwina" (Nato-Code SA-2B Guideline 1), Museum Berlin-Gatow

Hersteller:         UdSSR
Triebwerk:          Starttriebwerk: Feststoff, 
                    Marschtriebwerk: Flüssigkeit 
Abmessungen:        Spannweite: 2.65 m, Länge: 10,70 m,
                    Durchmesser: 50-65 cm 
Gewicht:            Startgewicht: 2283 kg, Gefechtskopf: 190 kg 
Flugleistungen:     Marschgeschwindigkeit: 650 m/sec 
Gefechtsbereich:    Einsatzhöhe: 100 bis 25.000 m, 
                    Vernichtungszone: 5 - 34 km 
Radarstation:       Reichweite: 200 km 
Raketenleitstation: Reichweite: 150 km



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