Auch Festungsfreunde werden älter! Ein kurzer, leider auch naturbedingt unvollständiger Hinweis für Studienexkursionen – nicht nur für Senioren
Text und Bilder: M. OehlrichBestimmte lebensnotwendige Medikamente, künstliche Hüften oder Knie und ein leichtes Übergewicht führen dazu, einzeln oder in der Summe, dass die körperliche Leistung - oder sagen wir besser die Fitness - nachlässt. Aber - auch in die Jahre gekommenen Festungsfreunde sollten sich weiter bewegen und ihr altes Hobby auch weiter genießen können – nur eben mit weniger körperlichem Stress. So rufen wir ihnen also zu: Leute – fahrt doch einfach mal in die Niederlande! Hier gibt es zahlreichliche Festungsbauten - vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, von denen noch manche darauf warten von uns entdeckt zu werden.
Wer sich fragt und verstehen will, warum dieses Land so dicht befestigt war, muss in den Geschichtsbüchern blättern (Nach meiner unmaßgeblichen Meinung müsste der Zeitraum ab etwa 1550 ausreichen). Hier gibt es unglaubliche Mengen an interessanten und spektakulären, großen, aber auch einfachen Festungen und Festungsstädten aus mindestens vier Jahrhunderten, die zu großen Teilen mit Fahrrädern, E-Bikes – aber auch eventuell mit einem Rollator bewältigt und besichtigt werden können. Dieser schändet hier ebenso wenig wie anderswo ein Wanderstock. Darüber hinaus hat das Land hat in den letzten Jahrzehnten sehr viel investiert, um den „Festungscharakter“ zahlreicher alter Städte wieder zu betonen. Oftmals halfen hier wohl auch Fördermittel der EU. Gleichzeitig schuf man damit äußerst attraktive Anziehungspunkte für Besucher. Weiterhin gehört dazu ein dichtes Netz von gut ausgeschilderte Rad- und Fußwanderwegen.
Die Festungsstädte, Festungen, Forts und Befestigungslinien gehören in den Niederlanden zum nationalen Erbgut. In vielen Fällen gibt es dafür sinnvolle Nutzungskonzepte - so z. B. Kunstgalerien, Weinhandel, Räume für Pfadfinder, Gaststätten, Übungsräume, Hotels (!) etc. Die Summe solcher Aktivitäten können wir Deutsche nur bewundern. Hinzu kommt, dass unsere Nachbarn offensichtlich ein viel weniger gestörtes Verhältnis zu militärischen Zweckbauten haben. Auf jeden Fall sollte man daran denken, dass jedes brauchbare und sinnvolle Nutzungskonzept sowie auch jeder Besuch, wo auch immer, zur weiteren Erhaltung solcher Anlagen beitragen kann!
Immerhin trugen diese dazu bei - etwa vom 16. bis zum 18. Jahrhundert - die Unabhängigkeit dieser reichen Handelsnation vor gierigen Okkupationsversuchen der Spanier, Franzosen, Engländer und Deutschen zu bewahren. Doch dies wäre eine andere Geschichte.
Die „Festungslandschaft“ in den Niederlanden ist derart vielfältig, dass hier nur ein kleiner Einblick geliefert werden kann. Eine Auswahl also - zu weiterer Motivation. Lohnend ist auf jeden Fall eine persönliche Recherche in Internet.
Menno van Coehoorn,(1642 – 1704), Hollands berühmtester Festungsbaumeister - sowie seine Schüler und Nachfolger haben im ganzen Land deutliche Spuren hinterlassen. (s. Anmerkung)
Für ihn und seine Kollegen oder Nachfolger war es wichtig, die geografischen Gegebenheiten und Vorteile die das Umfeld bot, auszunutzen. Von den niederländischen Festungen und Städten wurde das überall reichlich vorhandene Wasser nicht nur für Transporte sondern auch für die Verteidigung genutzt. Die von Ihnen entwickelte Festungsbaumanier basiert auf der Tatsache, dass 1. Natursteine praktisch nicht vorhanden waren – oder importiert werden mussten. (z. B. Säulenbasalt aus dem Rheinland), und 2. Wasser und Erde architektonisch so gestaltet wer-den mussten, dass sie zur Verteidigung wirkungsvoll ein-gesetzt werden konnten. Ziegelsteine für Forts und Funktionsbauten waren hier wesentliches Baumaterial.
Nicht vergessen sollte man in diesem Zusammenhang auch den Mathematiker und Bauingenieur Simon Stevin, (1548 – 1620) Er war der Erfinder der Verteidigung durch ein System von Schleusen und ähnlichen Bauwerken und erkannte als einer der ersten, dass Artillerie die einzig wirksame Verteidigung einer Festung bildete.
Ein paar Beispiele aus der Praxis. Wir haben einige besucht – leider immer nur recht kurz:
Bourtange – bastionierte Festungsstadt aus dem 16. Jahrhundert, lohnt einen Tagesausflug,
Kornwerdersand - am Abschlussdeich – mit zahlreichen Bunkern und Kasematten dem 20. Jahrhundert,
Den Helder, ehem. Marinefestung, mit Marinemuseum, Fort Kijkduin und anderen, www.stellingdenhelder.nl
Das nur mit dem Boot erreichbare Panzerfort bei Ijmuiden, auf einer Insel in der Hafeneinfahrt von Amsterdam, dem Noordzeekanaal, Bauzeit 1881 – 1888 (mit 5 x 24cm L30) kann zu festen Terminen besucht werden. Südlich und nördlich der Hafeneinfahrt zahlreiche Bunker des Atlantikwalls,
Naarden, eine der besterhaltenen Festungsstädte Europas, mit 6 Bastionen und 6 Ravelins, umgeben von einem nassen Graben mit Sperrhindernissen, Festungsmuseum,
Utrecht – Festung mit zahlreichen Forts,
Brielle – malerische Festungsstadt südlich von Rotterdam, ebenso auch Willemstad am Hollands Diep, Woudrichem etc.
Hellevoetsluis, südlich von Brielle, – ehemaliger befestigter Marinehafen, mit Innenhafen, darin die Panzerramme „Buffel“, Trockendocks, Wällen, vielen Kanonen und Museum – lohnt eine Reise,
Weiterhin Gorinchem, s’Hertogenbosch, Breda, Bergen-op-Zoom, Middelburg, Zevenbergen, Klundert, Heusden - und zahlreiche andere.
Maastricht – mit den Hooge Fronten, einem Komplex von Außenwerken aus dem späten 18. Jahrhundert, der Waldeck Bastion, Teilen von Stadtmauern aus verschieden Jahrhunderten und dem südlich gelegenen Fort St. Pieter. Auch diese Stadt lohnt eine Reise! (Unweit davon liegt das bekannte Sperrfort „Eben Emael“ – auf der belgischen Seite)
An der langen Küste kommen auch Liebhaber des Atlantikwalles nicht zu kurz.
Die meisten Festungen sind zu Fuß oder mit dem Fahrrad erschließbar. Viele Anlagen sind nur an bestimmten Terminen offen, manche allerdings auch ganzjährig – vorherige Informationen oder Terminabsprachen wären immer sinnvoll.
Manche Wallanlagen kleinerer Festungsstädte wirkten bei Besichtigungen relativ „frisch“ – die Erde war noch nicht richtig fest abgesetzt. Der Boden und die Graseinsaaten wirkten noch recht weich und nicht verfestigt. (Letzte Besuche im Nov. 2015)
Bei manchen älteren Festungsstädten hatte man die im 19. oder zu Beginn des 20. Jahrhunderts vielfach eingeebneten Wälle und Gräben nach den alten Plänen und Karten offensichtlich wieder neu errichtet, um den früheren Festungscharakter wieder herzustellen. Der Umfang und die Menge des Grabenaushubs bestimmten letztlich den Umfang, den Verlauf und die Höhe der Wälle und der vor gelagerten Außenwerke oder Ravelins. Das war offensichtlich eines der Prinzipien der „Niederländischen Festungsbaumanier“ und war z. B. bei Hellevoetsluis , Bourtange oder Willemstad und anderen sehr gut gelungen. Der neue Umriss von Bourtange beispielsweise beruht auf Plänen von 1742, als die Festung ihren größten Umfang erreicht hatte. Die Wiederherstellungsarbeiten und Renovierungen gehen weiter! Fast alle Gräben von Forts oder Festungen, die wir auf Exkursionen vorgefunden haben, waren wasserführend und meist mit einem Kanalsystem verbunden.
Die Wasserlinien
Für uns Außenstehende hatten nur wenige Festungsstädte wie Bourtange, Den Helder, Amsterdam, Utrecht, Bergen-op-Zoom, Breda, Naarden, Maastricht und andere einen gewissen Bekanntheitsgrad.
Die Niederländer entwickelten sich schon sehr früh zu Meistern der Wasserregulierung, insbesondere auch der Entwässerung und des Kanalbaus. Kanäle erwiesen sich als ideale Transportwege. Gleichzeitig nutzte man auch das Wasser durch Flutungen als Mittel der Verteidigung von Städten oder ganzen Regionen. Ein mittelalterliches oder früh neuzeitliches Heer mit Artillerie, Kavallerie und schwerfälliger Infanterie konnte auf gefluteten Arealen kaum oder praktisch überhaupt nicht genutzt werden. Schon eine etwas mehr als knietiefe Überflutung konnte ausreichen, die Annäherung von Belagerungstruppen zu verhindern. Dazu half auch ein geradezu geniales System von Deichen, Schleusen und Kanälen.
Über den Umfang der gewaltigen Wasserlinien, den „Waterlinies“, dem eigentlichen Rückgrat der Landesverteidigung, hatten wir nur recht begrenzte Informationen. Das lag offensichtlich auch an gewissen Sprachbarrieren – oder an der Tatsache, dass sich zahlreiche deutsche Festungsfreunde eher mit französischen, italienischen oder deutschen Festungsbauten oder -systemen beschäftigten. Die Wasserlinien sind mit ihren Grundstrukturen und ihren diversen Befestigungen zu großen Teilen immer noch gut erhalten und können für uns (in allen Altersstufen) somit Besuchs- oder Forschungsobjekte allerersten Ranges bilden.
Die Alte holländische Wasserlinie (Oude Hollandse Waterlinie)
www.oudehollandsewaterlinie.nl
Älteste Verteidigungswasserlinie, Baubeginn etwa 1672.Sie reicht von Muiden bis an den Bliesbosch, östlich von Utrecht und umfasst fünf Überschwemmungsbereiche, das Fort Wierickschans und 15 Festungen oder Festungsstädte, sowie diverse Schanzen, Batterien und Redouten.
Die Zuiderwaterlinie:
www.zuiderwaterlinie.nl
Sie verläuft durch Brabant und wurde 1697 konzipiert. Sie umfasst 5 Forts, 10 Festungsstädte sowie diverse Schleusen und Redouten.
Die Neue holländische Wasserlinie (Nieuwe Hollandse Waterlinie)
www.hollandsewaterlinie.nl
Mit rund 85 km Länge verläuft sie ebenfalls von Muiden bis an den Bliesbosch. Baubeginn war 1815. Modernisierungen erfolgten bis in die 1930er Jahre. Sie umfasst etwa 60 Forts und zahlreiche Schleusen, 2 Festungen und zahlreiche Batterien, Stellungen und Kasematten (Bunker). Fast alle Forts sind noch intakt.
Die „Stelling van Amsterdam“
www.stellingvanamsterdam.nl
Sie bildet 135 km lange Verteidigungslinie, die zwischen 1880 und etwa 1914 errichtet wurde. Amsterdam ist in einem Abstand von 15 – 20 km von einem Ring aus Deichen, Schleusen sowie 46 Forts und 6 Batterien umgeben. Große Teile des Landes im Festungsgürtel konnten zusätzlich geflutet werden. Sie ist praktisch noch vollständig vorhanden und gehört zum Weltkulturerbe der UNESCO.
Ein Panzerfort, das Fort Pampus, liegt im Ijsselmeer und kann nur per Boot erreicht werden, ebenso das Fort von Ijmuiden.
Die Grebbelinie
www.grebbelinie.nl
Es handelt sich hierbei um eine Verteidigungslinie zwischen Utrecht und der Veluwe, die zwischen 1774 und 1910 angelegt wurde. Sie besteht aus 16 Erdwerken und zahlreichen weiteren Verteidigungselementen und Schleusen. 1940 war sie die Hauptverteidigungslinie gegen die eindringenden Deutschen.
Die Ijsselinie
www.ijssellinie.info/
Die Ijsselinie war eine etwa 120 km lange NATO – Verteidigungslinie aus der Zeit des kalten Krieges. Sie richtete sich natürlich gegen die damalige Sowjetunion und ihre Bundesgenossen und sollte das Land verteidigen, wenn deren Durchbruch durch die Bundesrepublik gelungen war. Toll!
Sie wurde zwischen 1951 und 1954 zwischen Nimwegen und Kampen errichtet. Sie bestand aus verschieden Gefechtsbunkern, einigen eingegrabenen Sherman-Panzern und raffinierten Wasserhindernissen. Bereits 1968 wurde sie aufgegeben, blieb aber bis 1990 streng geheim. Ehrenamtliche Festungsfreunde versuchen Teile davon zu erhalten.Viele der Anlagen und die dazu gehörenden Forts haben eigene Internetseiten zu ihrer Geschichte und mit aktuellen Hinweisen.
Anmerkung:
Die nationale Festungsforschungsgesellschaft ist die Stichting Menno van Coehoorn.
Sie ist benannt nach dem Festungsbaumeister und General der Artillerie Menno van Coehoorn,
(1641 - 1704)), einem der wichtigsten Gegenspieler Vaubans. Sie hat Ihren Sitz in Utrecht.
Anschrift: Mariaplaaats 51, 3511 LM Utrecht.
E-mail:
Literaturhinweise - Pläne - Karten - ausgewählte Beispiele
Alle Angaben ohne Gewähr! Broschüren, Faltblätter und weitere Informationen gibt es bei nahezu allen Verkehrsbüros (VVV) von Festungsstädten, Fachliteratur in fast allen Buchhandlungen.
Anonym: Die Geschichte der Festung Bourtange 1580 – 1964, Broschüre, 27 S., Bourtange, o.J.
DAWA Sonderband 18: Militärmuseen in BENELUX, 260 S., Köln, 2007
Falkplan B.V. www.falk.nl
Falk-Karte 45: Nieuwe Hollandse Waterlinie-Zuid
Falk-Karte 44: Nieuwe Hollandse Waterlinie-Noord
(insgesamt ca. 40 Karten im Maßstab 1 : 35 000)
Forten NL - Groene Forten (Forten van Natuurmonumenten en Staatsbosbeheer in Beld),
Broschüre, 54 S., Mai, 2015, Herausgeber Stichting Linebreed Ondernemen
Flugblatt: Wandelroute Fort Altena – over fort en kazematten - www.fortaltena.nl oder www.brabantslandschap.nl
Henk Tol & Ger van der Burg: De Wachter tussen de Pieren - Kustfort Ijmuiden, Broschüre, 64 S., Ijmuiden, 2006
Neumann, Dr. Hartwig: Festungsbaukunst und Festungsbautechnik, 440 S., Koblenz, 1988 (hier auch Hinweise zur niederländischen Befestigungsmanier)
Oehlrich,M.: Bourtange – eine fast vergessene Festung im Moor, Am Wall, Heft 18, S. 6
Ders.: Menno Baron van Coehoorn . ein bedeutender Gegner Vaubans, Am Wall, Heft 58, 2007
Maastricht Vestingswandeling – Stichting Maastricht Vestingstad: Spaziergang durch die Festungsstadt
Hollandse Waterlinie - Discover Holland’s secret weapon, Faltblatt DIN A 4, 8 S.:
Stelling van Amsterdam, Karte/Faltblatt 94 x 64cm. o. J. - mit vielen Informationen
Stelling van Amsterdam, Broschüre herausgeben von der Stiftung,
Internet
Stichworte und Namen der Festungsstädte, Festungen oder Forts (sehr viele Forts haben eigene Internetseiten - z.B.
www.fortbijvechten.nl
www.fortaltena.nl
www.forten.nl
www.utrecht.nl/forten
www.waterlinies.nl
www.fortbijuithoorn.nl
www.fortbijedam.nl - etc.)
Ferner:
Publikationen der „Stichting Menno van Coehoorn“
(Die zahlreichen Kriegsereignisse - vom späten Mittelalter bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts – sind hier bewusst nicht mit verarbeitet worden.)